Romea Strata 2024/Teil 1 von Tallinn bis Soomaa Nationalpark
- erwandert
- 13. Dez. 2024
- 7 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 13. Juni

Freitag, der 3. Mai / Anreise Tallinn
Am Morgen wog ich meinen Rucksack: 10,5 Kilogramm ohne Wasser und Essen. Das bedeutet, dass ich mit Wasser, Essen und Gas bei 14 bis 15 Kilogramm landen würde. Für Lightweight-Wandern eindeutig zu viel, aber dennoch machbar.Ich war nervös und zweifelte ernsthaft daran, ob ich die 4700 Kilometer – noch dazu mit diesem Gewicht auf den Schultern – schaffen würde. Besser, gar nicht daran zu denken.
Nach dem Flug mit Finnair nach Helsinki ging es mit einem kleinen Flugzeug weiter nach Tallinn. Da der Flughafen nur vier Kilometer vom Zentrum entfernt liegt, ging ich zu Fuß in die Stadt.
Hinter dem Stadtzentrum ging ich zum Hafen. Im Harbour Hostel hatte ich ein ganz einfaches Zimmer mit Toilette und Dusche auf dem Gang. 37 Euro pro Nacht zeigten schon, dass Estland kein günstiges Reiseland ist – vielleicht gerade noch ein klein wenig billiger als Österreich.
Der Rucksack drückte, und meine Fußsohlen brannten – immer noch eine Folge meines Caminos im März, bei dem ich mir die Plantarfaszie etwas entzündet hatte. Wie würde das wohl in den nächsten Tagen werden?Ich ging noch kurz zum Fährhafen, der nur 50 Meter von meinem Hostel entfernt liegt. Es gibt dort schöne Bänke mit kleinen Tischen. Also kaufte ich mir im Supermarkt um die Ecke mein Abendessen und aß es am Hafen. Von dort aus konnte ich beobachten, wie mit Alkohol beladene Finnen und Finninnen zurück zu ihrer Fähre wankten.
Mein Plan für den nächsten Tag war es, in den Dom zu gehen, um mir meinen ersten Stempel zu holen, die Touristeninformation zu besuchen und diverse Einkäufe zu erledigen.
Unterkunft: Harbour Hostel
Samstag, der 4. Mai / Tallinn
Ich schlief sehr gut und bereitete mir zum Frühstück ein Porridge in der einfachen Hostelküche zu. Danach ging ich zum Dom, holte mir den ersten Stempel und suchte anschließend erfolglos nach einer Gaskartusche. Vielleicht wird sich morgen am Weg eine Möglichkeit ergeben, doch noch eine zu bekommen.
Mein Eindruck war, dass Tallinn stark auf Einkaufstourismus ausgelegt ist. Unmittelbar außerhalb der Altstadt stehen zahlreiche Shoppingcenter, die offenbar vor allem auf den Fährverkehr aus Finnland ausgerichtet sind – beispielsweise die vielen Alkoholgeschäfte.
Ansonsten verlief der Tag eher ruhig und ereignislos. Eigentlich hätte ich gleich nach meiner Ankunft in Tallinn losgehen können – und vielleicht auch sollen. Die Vorfreude auf den Start der Wanderung war einfach zu groß, um den Besichtigungstag in Tallinn so richtig genießen zu können.
Unterkunft: Harbour Hostel
Sonntag, der 5. Mai / Tallinn – Saku 24,53 km
196 m Anstieg, 150 m Abstieg
Gleich um 7:30 Uhr ging es los – raus aus der Stadt. Zuerst führte der Weg durch Vororte mit kleinen Holzhäusern und Villen, später an Plattenbausiedlungen vorbei. Danach ging es in einen Wald und schließlich über Holzwege durch ein Moorgebiet. Zum Schluss verlief der Weg entlang eines Truppenübungsplatzes bis nach Saku. Dort gibt es die Möglichkeit, als Pilger in der Kirche zu übernachten.
Ich hatte jedoch eine nicht mehr aktuelle Kontaktnummer. Kurz bevor ich zum überteuerten und schlecht bewerteten Hotel gehen wollte, entdeckte ich an der Kirchentür eine andere Telefonnummer. Ich erreichte Pastor Magne und er kam, um mir die Kirche aufzusperren.
Im Untergeschoss der Kirche gibt es ein Schlafzimmer sowie eine kleine Küche und Dusche. Nach einer erfrischenden Dusche ging ich in den Supermarkt, deckte mich mit Essen ein und verbrachte anschließend einen ruhigen Abend ganz alleine in der großen Kirche.
Obwohl der Weg heute sehr kurz war, hatte ich starke Schmerzen in den Fußsohlen. Dennoch bin ich unterwegs und hielt es für die beste Idee, einfach nicht zu viel darüber nachzudenken, sondern Tag für Tag anzugehen. Die Etappen sind grundsätzlich einfach und nicht allzu lang. Mit genügend Pausen sollte das problemlos machbar sein.
Unterkunft: Saku Toomase kogudu
Montag, der 6. Mai / Saku – Hageri 23,86 km
186 m Anstieg, 165 m Abstieg
Ein Kirchenmitglied hatte wohl in der Nacht meine Anwesenheit nicht bemerkt und die Alarmanlage der Kirche scharf gestellt. Als ich um 5:30 Uhr nach oben ging, um ein paar Dinge in die Küche zu bringen, löste ich sie aus und es startete eine ohrenbetäubende Sirene. Pastor Magne war nicht erreichbar, und ich befürchtete schon, einen Polizeieinsatz ausgelöst zu haben. Nach einer Weile verstummte der Alarm jedoch von selbst – niemand kam vorbei.
Der Weg war teilweise ein angenehm zu gehender Pfad, überwiegend jedoch ein asphaltierter Radweg, was ziemlich anstrengend für meine Füße war.
In Hageri hatte ich seit Tagen niemanden wegen eines Schlafplatzes erreicht. Auch bei der Kirche war niemand anzutreffen. Im Gemeindezentrum traf ich auf Ingrid, die mir in einem Kursraum mit zwei Sofas einen Schlafplatz anbot. Allerdings würde es erst nach den Aktivitäten im Gemeindezentrum ruhig werden. Diese umfassten neben Kinderbetreuung auch Töpfern, Englischkurse und Gymnastik. Eine sehr lebendige kleine Gemeinde für ein Dorf mit nur 150 Einwohnern!
Der Englischkurs in meinem zugeteilten Raum endete schließlich gegen 20 Uhr, und ich konnte mein Zimmer beziehen.
Viele Gemeindezentren entlang der Romea Strata in Estland bieten einfache Übernachtungsmöglichkeiten an. Das bietet auch die Möglichkeit, mit Menschen in Kontakt zu kommen.
Meine sehr subjektive Erfahrung in diesen ersten Tagen in Estland war jedoch, dass die Menschen sehr introvertiert wirken und es gar nicht so leicht ist, mit ihnen ins Gespräch zu kommen.
Unterkunft: Hageri Rahvamaja
Dienstag, der 7. Mai / Hageri – Rapla 25,28 km
132 m Anstieg, 130 m Abstieg
Der Weg verlief heute fast nur auf asphaltierten Straßen. Trotzdem fühlte ich mich besser und stärker als in den ersten beiden Tage.
Mein Schlafplatz, für diese Nacht war in einem der Nebenräume der freien Kirche. Am Abend besuchte mich der ehemalige Pastor Matt. Gemeinsam gingen wir die nächsten Etappen durch. Er zeigte mir schöne Alternativrouten durch den Wald und wollte sich außerdem in Märjamaa erkundigen, ob es dort einen Schlafplatz für mich gibt.
Unterkunft: EEKB Koguduste Liidu Rapla Vabakogudus
Mittwoch, der 8. Mai / Rapla – Märjamaa 31,05 km
191 m Anstieg, 213 m Abstieg
Heute hatte ich die bisher längste Etappe vor mir. Es gab unterwegs weder Einkehrmöglichkeiten noch Wasserquellen oder Bänke für eine Pause. Da wäre definitiv noch Potenzial für Verbesserungen. Ziemlich erschöpft erreichte ich schließlich Märjamaa, wo ich im Gemeindezentrum der Lutherkirche unterkam.
Meine Routine: gehen, Unterkunft beziehen, Hygiene erledigen, den örtlichen Supermarkt aufsuchen, essen und schlafen. Für längere Erkundungen am Abend war ich einfach viel zu müde.
Unterkunft: EELK Märjamaa Maarja kogudus
Donnerstag, der9. Mai / Märjamaa – Kivi-Vigala 30,56 km
55 m Anstieg, 31 m Abstieg
Es war eine sehr anstrengende Etappe, vor allem wegen den langen Geraden aus Sand und grobem Schotter. Schließlich kam ich in Kivi-Vigala an, kaufte Proviant ein und ging zur Kirche. Dort hatte ich die Erlaubnis, mein Zelt im Kirchengarten aufzustellen.
Es gibt hier ein Trockenklo und im Sommer einen Teich zum Baden. Leider ist es sehr kalt geworden – in der Nacht um die 5 Grad – und ich hatte nur einen Sommerschlafsack dabei. Der gute Quilt, den ich mir bestellt hatte, war vor meiner Abreise leider noch nicht angekommen. So fror ich und bibberte mich durch die Nacht. Vielleicht hätte ich daran denken sollen, dass der Mai im Norden nicht dasselbe ist wie in Mitteleuropa.
Unterkunft: Zelt im Kirchengarten (Vigala Maarja kirik)
Freitag, der 10. Mai / Kivi-Vigala – Pärnu-Jaagupi 23,91 km
80 m Anstieg, 69 m Abstieg
Die relativ kurze Etappe führte hauptsächlich über Feldwege. In Pärnu-Jaagupi wurde ich von Epp Sokk empfangen, der Vorsitzenden des estnischen Jakobsweg-Verbandes. Sie bot mir an, einen Pausentag einzulegen, was ich zunächst ablehnte. Nach kurzem Überlegen sagte ich dann jedoch doch zu, da der Zeitpunkt eigentlich perfekt war.
Im Gemeindezentrum gibt es eine wirklich schöne Herberge mit einer Küche im Erdgeschoss. Nur 100 Meter entfernt befindet sich ein gut sortierter Supermarkt – also alles ideal für einen Ruhetag.
Unterkunft: Pärnu-Jaagupi pastoraat
Samstag, der 11. Mai / Pärnu – Jaagupi Ruhetag
Heute lag ich fast den ganzen Tag im Bett. Nur der Hunger trieb mich einmal raus.
Unterkunft: Pärnu-Jaagupi pastoraat
Sonntag, der 12. Mai / Pärnu-Jaagupi – Tori 32,4 km
116 m Anstieg, 126 m Abstieg
Der Weg war heute sehr unangenehm für meine Füße – nur asphaltierte Straßen und staubige Schotterwege. Trotzdem kam ich ganz gut voran. Am Morgen hielt eine Autofahrerin an, fragte mich ob mein Name Christian sei und schenkte mir Schokopralinen. Meine Anwesenheit schien sich herumgesprochen zu haben. Wenn man viel allein unterwegs ist, freut man sich über solche kurzen Interaktionen besonders.
Am Ende der Etappe ging ich zuerst in den Supermarkt und aß mein Abendessen direkt davor. Danach ging ich zu einem etwas abgelegenen Grundstück, das mir Epp organisiert hatte. Dort konnte ich mein Zelt aufstellen. Es handelt sich um ein Flussgrundstück, und die Besitzer wohnen 100 Meter oberhalb davon.
Die Nacht war sehr kalt und ich musste meine gesamte Kleidung, inklusive Wanderhose, anziehen.
Pilgerherbergen in Gemeindezentren standen leider nicht zur Verfügung, da zu der Zeit gerade Reservistenübungen stattfanden und das Militär öffentliche Gebäude sowie Gemeindezentren für ihre Zwecke beanspruchte.
Das Militär war an diesen Tagen allgegenwärtig: Truppen- und Materialtransporte auf den Landstraßen, Überwachungsposten in den Ortschaften.
Unterkunft: Zelt auf Privatgrundstück
Montag, der 13. Mai / Tori – Soomaa Nationalpark Zentrum 23,14 km
87 m Anstieg, 88 m Abstieg
Mir ging es heute gar nicht gut, weil ich in der Nacht wieder so gefroren hatte. Der Weg führte überwiegend entlang der Straße, und als ich im Nationalpark ankam, waren die für Langstreckenwandernde gedachten Hütten unbrauchbar. Sie waren völlig verschmutzt und voller Spinnen und mussten für die Saison erst noch instand gesetzt werden.
Im Nationalparkzentrum bekam ich jedoch liebenswerterweise von einer Mitarbeiterin einen Kaffee aus der Personalküche.
Anschließend stellte ich mein Zelt auf. Für die nächsten Tage schien es aufgrund der Militärübungen schwierig zu werden, Unterkünfte zu finden. Es werden also wohl noch einige Zeltnächte auf mich zukommen. Das würde mich mit der richtigen Ausrüstung nicht stören, aber so war es sehr kräftezehrend.
Beim Nationalparkzentrum traf ich auch zwei Wanderer aus der Schweiz. Sie wanderten auf einem RMK-Wanderweg und hatten für den heutigen Tag noch einige Kilometer vor sich. Der RMK ist das estnische Forstamt, das einige Weitwanderwege betreibt. Auf diesen Wanderwegen gibt es auch schöne Naturcampingplätze.
Unterkunft: RKM Platz im Zelt am Nationalparkzentrum